„Der Geist in seinem gewöhnlichen Zustand lässt sich mit einem Himmel vergleichen, der durch Schichten von Wolken verdunkelt ist, welche seine wahre Natur verbergen.“
Kalu Rinpoche
Die philosophische Tradition Indiens spannt sich über tausende Jahre bewegter Geschichte und unterschiedlichster Einflüsse. Im sogenannten Axialen Zeitalter, zwischen 800 und 200 AC, entwickelten sich unabhängig und parallel, in Indien, China, Persien, Judäa und Griechenland spirituelle Grundlagen und Erkenntnisse, die bis heute als Basis menschlicher Existenz Gültigkeit haben. Viele, oft sehr divergierende Schulen, religiöse Strömungen und philosophische Richtungen kreuzten sich, widersprachen sich und/oder wurden gegenseitig assimiliert.
In all diesen verwirrenden Strömungen findet sich Yoga als roter Faden wieder. Zuerst als rein meditative Praxis, um Bewusstsein und Erkenntnis zu erlangen, später, ab dem Mittelalter, im Tantra Yoga und Hatha Yoga, mit körperlichen Haltungen (Asanas und Mudras), die den Energiefluss und die Bewegungen des Geistes kanalisieren sollten.
Hinter dem heute weit verbreiteten Verständnis von Yoga als körperliche Praxis zur Stärkung und Entspannung, befindet sich eine Jahrtausende alte Wissenschaft über die Natur des menschlichen Geistes. Die Frage, wie unser Geist aus der Dunkelheit und Verwirrung des Nicht-Bewusstseins in das Licht der Erkenntnis geführt werden kann, hat Gelehrte in allen Zeiten und Kulturen beschäftigt.
Zwei zentrale philosophische Fundamente des Modernen Yoga bilden einerseits das monistisch orientierte Vedanta, die Essenz der Veden und der Upanishaden aus dem Hinduismus und andererseits die dualistische Samkhya Philosophie.
Als heute bekannteste Schriften gelten die Bhagavat Gita, die Yoga Sutren von Patanjali und die Hatha Yoga Pradipika.
Die, in den oben genannten Schriften dargelegten Erkenntnisse und Werkzeuge zur Erlangung von Bewusstsein, Selbstermächtigung und Freiheit, sind vielfältig. Über die Jahrtausende entwickelten sich verschiedene Yoga-Konzepte. Sie bieten klare und gut anwendbare Werkzeuge, ganzheitlich mit sich selbst zu arbeiten, Beobachtungen an zu stellen, Erfahrungen zu machen und Bewusstsein zu entwickeln. Sie stellen eine erstaunlich zeitlose, komplette und praktisch anwendbare Psychologie dar, die in der heutigen Zeit aktueller nicht sein könnte.
Die Yoga Sutren von Patanjali (ein vor ca 2000 Jahren aus viel älterem Gedankengut komprimiert zusammengefasster Leitfaden für den Yoga Schüler) gehen im Wesentlichen davon aus, dass alle Menschen von ewigem Licht, dem Potential, Bewusstsein erlangen zu können, erfüllt sind. Dieses Potential wird Purusha (der reine Geist) genannt. Das Leben in der materiellen Welt, Prakriti, verdunkelt den reinen Geist, wie Wolken den Himmel. Die Yoga Sutren geben Anleitung, wie der Schüler stufenweise mit dem Acht-Gliedrigen Pfad oder Raja Yoga den reinen Geist entfalten kann.
Raja Yoga besteht aus „acht Gliedern“ (Ashtanga), die aufeinander aufbauen:
- Yama, die 5 ethischen Verhaltensregeln
- Niyama, die 5 Regeln der Selbstdisziplin
- Asana, Schulung und Reinigung des Körpers mittels Yogastellungen
- Pranayama – Atemkontrolle
- Pratyahara – Zurückziehen der Sinne von der Außenwelt
- Dharana – Konzentration auf nur einen Gedanken
- Dhyana – Meditation,
- Samadhi – überbewusster Zustand,Eins-Werden
Asana und Pranayama ermöglichen den Einstieg in die meditative Yoga Praxis.
Der Körper wird gekräftigt, entgiftet und vitalisiert, während der Geist beginnt, sich zu beruhigen und zu konzentrieren. Auf diese Weise öffnet sich ein Raum, in dem sich Freiheit (Moksha), Zufriedenheit (Santosha) und Verbundenheit mit sich Selbst und der Welt entfalten können.
Wenn der Geist wie ein Muskel im Körper gestärkt wird und fähig ist, sich in Ruhe zu konzentrieren, entfaltet sich die Wahrnehmung der fein-stofflichen Wirkung des Yoga: Die Erfahrung der EINHEIT mit dem EINEN.
Dieses EINE, „ATMAN“, die individuelle Seele, der innerste Kern, ist ein Teil von „BRAHMAN“, der absoluten, unwandelbaren universellen Seele. Bewusstsein darüber zu erlangen, ist die Essenz von MOKSHA, der Befreiung.
Eine anschauliche Beschreibung von Atman stammt von RAM DAS, alias Richard Alpert, Psychologie Professor an der Harvard Universität, der später zum Hinduismus konvertierte: